1946
München
Große Aula der
Ludwig-Maximilians-Universität
- Verfassung
- Parlamentarismus
- Grund- und Menschenrechte
- Parteien
- Wahlen
In der Großen Aula der LMU beriet ab Juli 1946 die Verfassunggebende Landesversammlung über die bis heute gültige Verfassung des Freistaats Bayern. Dort konstituierte sich dann auch der erste bayerische Nachkriegslandtag und wählte Hans Ehard zum Ministerpräsidenten.

„Angesichts des Trümmerfeldes …“, so lauten die ersten Worte der Verfassung Bayerns. Wie ganz München war auch das Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität von Kriegszerstörungen betroffen. Der Gebäudeteil der Großen Aula war weniger schwer beschädigt und konnte so schon ab Februar 1946 wieder genutzt werden. Die 700 Personen fassende Große Aula diente nicht nur als Raum für die Volksvertreter, sondern auch als Konzertsaal für die Philharmoniker und für universitäre Veranstaltungen.
Abb. Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Nr. 01009202
„…die Segnungen des Friedens,
der Menschlichkeit und des
Rechtes dauernd zu sichern…“
Die Große Aula der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ist ein zentraler Ort für die Erneuerung von Staatlichkeit und Demokratie in Bayern nach dem Ende der NS-Herrschaft. Hier wurde die bis heute gültige Bayerische Verfassung erarbeitet.
Mit dem Kriegsende im Mai 1945 übernahmen die vier Siegermächte vorläufig die Regierungsgewalt. Die US-Militärregierung in Bayern bestellte zunächst den BVP-Politiker Fritz Schäffer als Ministerpräsidenten in Bayern, dann den Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner, der schon im Schweizer Exil an Plänen zu einer neuen bayerischen Verfassung gearbeitet hatte. Er bekam im Februar 1946 den Auftrag zur Vorbereitung einer Verfassunggebenden Landesversammlung. Dazu wurde ein Vorbereitender Verfassungsausschuss konstituiert.
Im Juli 1946 konnte die Verfassunggebende Landesversammlung in der Aula der LMU ihre Arbeit aufnehmen. Es war die erste demokratisch gewählte Volksvertretung seit 1934. In zehn öffentlichen Plenarsitzungen entschied sie über die zukünftige Verfassung. Heiß diskutiert wurde die Einführung des Amtes eines bayerischen Staatspräsidenten und die Schaffung einer zweiten Kammer. Die Verfassung wurde am 1. Dezember 1946 in einem Volksentscheid mit einer Mehrheit von 70,6 Prozent angenommen.
Mit der Verfassung konstituierte sich Bayern als Volks-, Rechts-, Kultur- und Sozialstaat, der dem Gemeinwohl dient. Ein starker Landtag als Herz der parlamentarischen Demokratie, eine gestärkte Staatsspitze und -regierung sowie Elemente unmittelbarer Demokratie kennzeichnen die Verfassung. Gleichzeitig mit der Abstimmung über den Verfassungsentwurf wurde der erste Bayerische Landtag der Nachkriegszeit gewählt. Dessen konstituierende Sitzung fand ebenfalls in der Großen Aula der LMU statt.

Auf Basis von Wilhelm Hoegners Entwurf, der auf seine Überlegungen aus dem Schweizer Exil zurückging, erarbeitete der Beratende Landesausschuss einen Vorentwurf für die bayerische Verfassung. Es sind mehrere Arbeitsversionen erhalten. Die hier gezeigte Entwurfsseite stammt aus dem Nachlass von Hans Ehard.
Abb. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, NL_Ehard_Hans_1629

Am Volksentscheid beteiligten sich 75,7 Prozent der über vier Millionen Wahlberechtigten Bayerns. 70,6 Prozent stimmten dafür.
Abb. Bildarchiv Bayerischer Landtag

Aufgrund der Kriegszerstörung musste teils in improvisierten „Wahllokalen“ im Freien gewählt werden. Die Wahlen hatten eine absolute Mehrheit der CSU mit 109 von 180 Mitgliedern in der Verfassunggebenden Landesversammlung zum Ergebnis. Die SPD bekam 51 Mandate, die KPD 9, die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV) 8 und die FDP 3.
Abb. Haus der Bayerischen Geschichte (Bayerisches Pressebild)

Die prägenden Persönlichkeiten in der Verfassunggebenden Landesversammlung waren Ministerpräsident Wilhelm Hoegner und Alois Hundhammer, der als Fraktionsvorsitzender der CSU eine große Mehrheit hinter sich hatte. Die Kompromissbereitschaft zwischen CSU und SPD war entscheidend für die Arbeit an der Verfassung.
Abb. Alfred Strobel / Süddeutsche Zeitung Photo
Verfassungsänderungen
Nur durch Volksentscheid kann die Bayerische Verfassung geändert werden. Von 1946 bis 2020 gab es 16 Änderungen. Zwei davon wurden durch ein Volksbegehren und 14 durch den Landtag initiiert. Stößt der Landtag eine Änderung an, wird der Bevölkerung ein Gesetzentwurf zum Volksentscheid vorgelegt. Wenn die Initiative von der Bevölkerung ausgeht, muss zuerst ein mit 25.000 Unterschriften unterstützter Antrag auf ein Volksbegehren gestellt und ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. Bekommt das Volksbegehren die Unterstützung von zehn Prozent der Stimmberechtigten, geht es zur Stellungnahme an die Staatsregierung. Danach entscheidet der Landtag, ob er den Entwurf als Gesetz umsetzt oder ablehnt. Bei einer Ablehnung kommt es zum Volksentscheid durch die Bevölkerung.

Zu einer ersten Änderung der Verfassung kam es 1968, mehr als 20 Jahre, nachdem sie in Kraft getreten war. Ein Volksentscheid nahm die Einführung der christlichen Gemeinschaftsschule als Regelschule in Bayern an. CSU, SPD und FDP hatten sich auf einen gemeinsamen Entwurf verständigt.
Abb. HSS-ACSP, Fl 1967

Mitte der 1990er-Jahre kam es verstärkt zu Diskussionen um Reformen der Verfassung. Der Verein „Mehr Demokratie in Bayern“ setzte mit einem Volksentscheid 1995 die Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene durch.
Abb. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Plakatsammlung Nr. 38389

1998 stimmten die bayerischen Wähler über drei Verfassungsänderungen ab, die die Grundrechte und Staatsziele, den Landtag und die Staatsregierung betrafen. Der Bayerische Senat wurde als zweite Kammer des Landtags abgeschafft. Bayern bekannte sich zu einem geeinten Europa. An der Abstimmung im Februar 1998 beteiligten sich 39,9 Prozent der Stimmberechtigten. Dem Volksentscheid „Grundrechte und Staatsziele“ stimmten 75,0 Prozent der Wähler zu, dem Volksentscheid „Landtag und Staatsregierung“ 73,9 Prozent.
Abb. HSS-ACSP, PL S 4103

In den 1980er-Jahren gab es in Bayern zahlreiche Konflikte um Natur- und Umweltschutz. Themen waren unter anderem das Waldsterben, die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf und der Rhein-Main-Donau-Kanal. Die SPD-Landtagsfraktion ergriff 1984 die Initiative zu einer Verfassungsänderung, die dann im Konsens mit der CSU zum Volksentscheid vorgelegt wurde. 94 Prozent der Bürger stimmten für die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in die Bayerische Verfassung.
Abb. Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/PLKA012381

Kontrovers verlief die Diskussion um die Zukunft des Senats als eine zweite Kammer neben dem Landtag. Während der Landtag einen Entwurf zur Reform vorlegte, forderte ein von der ÖDP angeregtes und von SPD, FDP und den Grünen unterstütztes Volksbegehren dessen Abschaffung. Beim Volksentscheid stimmten 69,2 Prozent der Wähler für den Gesetzentwurf des Volksbegehrens. In der Folge wurde zum 1. Januar 2000 der Senat aufgelöst.
Abb. Karl-Heinz Egginger / Süddeutsche Zeitung Photo